Der BGH entschied heute gleich über zwei Fälle zum sogenannten „Recht auf Vergessenwerden“. Die Kläger verlangten jeweils von Google, negative Presseartikel nicht mehr in der Ergebnisliste anzuzeigen, wenn nach ihrem Namen gesucht wurde. Im ersten Fall stand der Wahrheitsgehalt des Artikels fest, im zweiten war dieser umstritten. Zusätzlich ging es im zweiten Fall um die Anzeige von Fotos als Thumbnails, auf denen die Kläger abgebildet waren. Die Entscheidungen haben es in sich.
Anzuwendende Vorschriften
Nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO kann die von einer Datenverarbeitung betroffene Person unter bestimmten Voraussetzungen von dem Verantwortlichen verlangen, dass er ihre personenbezogenen Daten unverzüglich löscht. Dieser Auslistungsanspruch besteht nach Art. 17 Abs. 3 (a) DSGVO jedoch nur, soweit nicht die Meinungs- und Informationsfreiheit der Öffentlichkeit, des Presseunternehmens oder des Plattformbetreibers betroffen sind.
Fall 1: Google muss abwägen
Der BGH wies den ersten Fall ab, ebenso wie es bereits die Vorinstanzen taten (VI ZR 405/18). Er wog zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit ab und kam zu dem Ergebnis, dass das Informationsinteresse überwog. Wäre die Abwägung anders ausgefallen, hätte Google aber löschen müssen; und zwar auch ohne dass die Rechtsverletzung „offensichtlich und auf den ersten Blick klar erkennbar“ vorlag – damit hat der BGH ausdrücklich seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben.
Fall 2: Zuvor einstweilige Verfügung?
Im zweiten Fall entschied der BGH, dass Art. 17 Abs. 3 DSGVO der Auslegung bedürfe, weshalb er dem EuGH zwei Fragen zur Entscheidung vorlegte (VI ZR 476/18). Zum einen fragt der BGH, ob es bei der Abwägung darauf ankommt, dass der Betroffene zuvor eine einstweilige Verfügung gegen den Berichterstatter erwirken könnte. Zum anderen soll der EuGH beantworten, ob es im Zuge der Löschung von Thumbnails auf den Kontext ankommen kann, in dem das entsprechende Bild ursprünglich veröffentlicht worden ist. Dieser ist nämlich neben dem Thumbnail nicht angezeigt worden.
Bewertung und Ausblick
Erstmals seit Inkrafttreten der DSGVO entschied der BGH über das in Art. 17 DSGVO verankerte „Recht auf Vergessenwerden“. In dem Fall, dass die Tatsachen unstreitig sind, erhöht der BGH die Prüfungsanforderungen an die Plattformbetreiber. Google muss nicht mehr nur offensichtliche Rechtsverletzungen löschen, sondern in jedem Fall eine Interessenabwägung treffen.
In dem Fall, in dem die Tatsachenlage unklar ist, legt der BGH hingegen vor. Wird es jetzt notwendig, dass der Kläger zuvor eine einstweilige Verfügung gegen den vermeintlichen Verletzer erwirkt? Sollte der EuGH dies bejahen, kann Google sich zurücklehnen: Dann kann es den Anspruchsteller auf die Gerichte verweisen. Verneint der BGH die Frage, besteht – wie auch bei Löschungspflichten im Rahmen von Urheberrechtsverletzungen oder unliebsamen Bewertungen und Forenbeiträgen – nach wie vor die Gefahr, dass der Plattformbetreiber aus Angst vor Inanspruchnahme lieber zu viel als zu wenig löscht. Das kann Meinungs- und Pressefreiheit erheblich beeinträchtigen. Zumutbar kann eine einstweilige Verfügung jedoch nur dann sein, wenn der Anspruchsgegner bekannt ist. Das ist – anders als bei Datenschutzverstößen durch Presseunternehmen – bei Urheberrechtsverletzungen und negativen Forenbeiträgen durch anonyme User häufig nicht der Fall.
Vielen Dank an Theresia Rasche für diesen Blogbeitrag.