Der Bundesgerichtshof vertiefte mit Urteil vom 23.04.2020 (I ZR 85/19) seine Rechtsprechung zur wettbewerbsrechtlichen Bedeutung geäußerter Rechtsansichten. Dabei hob der Bundesgerichtshof eine vorausgegangene verurteilende Entscheidung des OLG Frankfurt am Main wieder auf.
Was war geschehen?
Ein Energieversorger hatte an seine Kunden ein Schreiben gesendet, mit dem er ankündigte, dass für die meisten Kunden ab einem bestimmten Zeitpunkt neue Preise sowie neue Versorgungsbedingungen gelten werden. Maßgeblicher Zeitpunkt soll nach weiterer Mitteilung des Versorgungsunternehmens die öffentliche Bekanntgabe sein.
Sowohl das Landgericht Darmstadt als auch das OLG Frankfurt am Main verurteilten das Versorgungsunternehmen dazu, zukünftig derartige Mitteilung zu unterlassen. Der Adressat des Schreibens könne in die Irre geführt werden. Unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2017 wurde ausgeführt, dass Versorgungsunternehmen zumindest bei Fernwärmeverträgen nicht zu einseitigen Vertragsänderungen befugt seien. Gleichwohl werde durch das Schreiben eine gegenläufige Vorstellung bei den Adressaten erweckt. Dies könne dazu führen, dass die Kunden die tatsächlich nicht gerechtfertigte Preiserhöhung einfach hinnehmen.
Wie hat der Bundesgerichtshof dies bewertet?
Eher nur für Prozessrechtler dürften die ausführlichen Feststellungen sein, dass nur unter engen Voraussetzungen einer derartigen Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Im Gegensatz hierzu ist eine Klage auf Unterlassung von Rechtsäußerungen im Rahmen gerichtlicher oder behördlicher Verfahren regelmäßig unzulässig. Der Bundesgerichtshof setzt sich sehr ausführlich mit den Grundsätzen und Ausnahmen hierzu auseinander.
Allgemein größeres Interesse dürften die inhaltlichen Feststellungen des Bundesgerichtshofs zur Frage wecken, ob und wann derartige außergerichtliche Äußerungen gegenüber Verbrauchern eine wettbewerbliche Irreführung darstellen können, die zu unterlassen ist.
Danach stelle der Inhalt des Schreibens keine unwahre Angabe im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 UWG dar. Zwar sei die Mitteilung eine Angabe im Sinne jener Vorschrift, jedoch sei diese nicht „unwahr“. Der Bundesgerichtshof führte aus, dass wahr oder unwahr nur Tatsachen, mithin Geschehnisse sein können. Diese könnten im Zweifel bewiesen werden. Im Gegensatz hierzu sei eine Rechtsansicht ein Unterfall der Meinungsäußerung. Nur in seltenen Ausnahmefällen seien in diesem Zusammenhang Äußerungen zur Rechtslage dem Beweis zugänglich. Dies könne etwa der Fall sein, wenn Rechtsfragen als von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt und eindeutig dargestellt werden. Dieser Fall liege unzweifelhaft nicht vor. Auch sei dies möglich, wenn bereits höchstrichterlich geklärte Rechtsfragen eindeutig unzutreffend dargestellt werden. Eine solche Eindeutigkeit könne jedoch der herangezogenen Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2017 nicht entnommen werden.
Ferner stelle das Schreiben keine „sonstige“ zur Täuschung geeignete Angabe im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 UWG dar. Unter jene Vorschrift können auch Meinungsäußerungen fallen. Für Rechtsansichten gelte dies jedoch nur dann, wenn für die Adressaten nicht erkennbar ist, dass es sich nur um eine im Rahmen der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung getätigte
Äußerung handelt. Das UWG erfasse daher Äußerungen, in denen ein Unternehmer gegenüber einem Verbraucher eine eindeutige Rechtslage behauptet, die tatsächlich nicht besteht, wenn der Adressat dies nicht als geäußerte Rechtsansicht versteht, sondern als „Feststellung“. Dasselbe gelte, wenn ein Verbraucher ausdrücklich bei einem Unternehmer zur Bedeutung und den Folgen einer vertraglichen Regelung nachfrage, von dem Unternehmer aber eine objektiv falsche rechtliche Auskunft erhält. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass diese Ausnahmen im konkreten Fall nicht vorliegen. Insbesondere sei für die Kunden erkennbar, dass der Energieversorger seine Rechtsansicht im Rahmen einer Rechtsverfolgung geäußert hat. Auch enthalte das Schreiben keine Angaben, mit denen eine Eindeutigkeit der Rechtslage suggeriert werde. Der Bundesgerichtshof betonte nochmals seine bisherige Rechtsprechung, dass es allgemein keines Hinweises bedarf, dass die Äußerung lediglich die eigene Rechtsansicht darstelle.
Was bedeutet dies für die unternehmerische Praxis?
Äußert sich ein Unternehmer gegenüber Kunden bzw. potentiellen Kunden zu Rechtslagen (insbesondere betreffend den Inhalt von Vereinbarungen und deren Folgen), so muss dieser allgemein nicht befürchten, dass ihm dies als Irreführung ausgelegt wird. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn zu diesem Thema bereits höchstrichterliche Entscheidungen, wie etwa des Bundesgerichtshofs existieren. Werden diese unzutreffend dargestellt, kommt eine Irreführung zumindest in Betracht. Dies gilt auch, wenn gerade keine solche höchstrichterliche Klärung bislang stattgefunden hat, gleichwohl eine Rechtslage als eindeutig dargestellt wird. Besonders achtsam muss der Unternehmer bei konkreten Anfragen des (potentiellen) Kunden zur Rechtslage sein. Diese sollten zumindest nicht ohne Einschaltung der Rechtsabteilung beantwortet werden.