Dicke Fliegen in einem Kirchenfenster? Das noch dazu von einem Alt-Bundeskanzler gestiftet wurde, der mit dem russischen Präsidenten Putin befreundet sein soll? Ein mittlerer Skandal! Der Stiefsohn und Erbe des Architekten der Marktkirche Hannover klagte gegen den Einbau des umstrittenen Fensters vor dem LG Hannover. Das wies die Klage nun in seinem Urteil jedoch ab. Das Fenster wurde von dem Künstler Markus Lüpertz gestaltet.
Urheber können sich gegen Änderungen oder Entstellungen ihrer Werke zur Wehr setzen. Darauf berief sich auch der Kläger, der als Erbe des verstorbenen Architekten Prof. Dieter Oesterlen Inhaber des Urheberrechts an dem Bauwerk war.
Ein störendes Element?
Bei der Gestaltung der Marktkirche sei es diesem um die Schaffung eines Raums von großartiger Einfachheit und Geschlossenheit unter Beseitigung jedes störenden Elementes und den bewussten Verzicht auf jede Ablenkung gegangen. Deshalb sei der Einbau des Fensters eine unzumutbare Veränderung. Denn es würde dem Werk seine Wirkung eines von großartiger Einfachheit und Geschlossenheit geprägten Raumes nehmen und seiner grundlegenden schöpferischen Gestalt berauben.
Oder eine Anregung zum Nachdenken?
Die verklagte evangelische Kirchengemeinde meinte dagegen, das Fenster solle die Gemeindemitglieder und Kirchenbesucher zum Nachdenken über die Gegenwart des christlichen Glaubens bewegen. Der Architekt habe nicht auf jedes ablenkende Element verzichten wollen. Das zeige z.B. die Orgel und das vom Architekten selbst in Auftrag gegebene bunte Turmfenster in der Westfassade. Außerdem sei der Innenraum urheberrechtlich nicht geschützt. Jedenfalls gehe bei einer Abwägung der Interessen des Urhebers das kirchliche Selbstbestimmungsrecht vor.
Mit Kunstfragen „einigermaßen vertraute“ Richter
Die Richterkammer des LG Hannover entschied den Rechtsstreit in dem 40-seitigen, ausführlich begründeten Urteil zugunsten der Kirchengemeinde. Die Richter bescheinigen sich darin selbst den Sachverstand, die urheberrechtliche Schutzfähigkeit des Kircheninnenraums als Bauwerk zu bejahen. Denn sie seien „mit Kunstfragen einigermaßen vertraut und auch interessiert, wie z. B. durch Besichtigungen bedeutender Bauwerke z. B. auf privaten Reisen, Lektüre von Kunstbänden, Zeitungsberichten etc. sowie Museumsbesuchen und dergleichen.“
Abwägungsfrage
In einer Gesamtabwägung zwischen den Interessen des Urhebers und denen der Kirchengemeinde berücksichtigte das Gericht folgende Aspekte:
- Der Gesamteindruck des Innenraums werde durch das Reformationsfenster zwar deutlich verändert. Das Fenster füge sich allenfalls bedingt ein.
- Der Einbau des Reformationsfensters sei aber Ausdruck der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Die Gemeinde habe ein „enormes Interesse“ sich zeitgemäß zu präsentieren, indem sie das belehrende und heroische Lutherbild durch ein differenzierteres und kritischeres ersetzt, das auch Zweifel, Brüche und Fehler erkennen lässt.
- Es sei üblich, Kirchen mit bunten Motivfenstern auszuschmücken.
- Das Verbot des Einbaus des Reformationsfensters würde die Gemeinde in wesentlichen Punkten an der Ausübung und Vermittlung ihrer Religion hindern.
Bleibt noch die Frage, was es mit den Fliegen auf sich hat. Dazu hat der Künstler bereits Stellung genommen, als er sein umstrittenes Kunstwerk öffentlich erklärte.
Schließen wir diesen Beitrag nun mit einem Zitat von Luther, in der Hoffnung, dem Ansinnen des Reformators Genüge zu tun:
„Mit wenigen Worten viel zu sagen, ist eine Kunst. Eine große Torheit aber ist es, viele Worte zu gebrauchen und doch nichts zu sagen.“