Der EuGH hat in seiner Vorabentscheidung vom 29.07.2019 (Az. C-476/17) entschieden, dass sog. Sampling auch ohne Einverständnis des Urhebers nicht zwingend dessen Rechte verletzt. Der EuGH stärkt damit vermeintlich die Position der sampelnden Künstlern. Möglicherweise ist es aber nur ein Pyrrhussieg. Auch wenn der letzte Vorhang in diesem jahrelangen Rechtsstreit noch nicht gefallen ist, sind mit der Entscheidung die Grenzen für die weitere Entscheidung des BGH abgesteckt. Doch der Reihe nach:
1. Es war einmal…
Wir schreiben das Jahr 1997, Moses Pelham schrieb noch Hits und Sabrina Setlur hieß Schwester S. Die älteren werden sich erinnern. In diesem Jahr veröffentlicht Sabrina Setlur auch das von Moses Pelham produzierte Lied „Nur Mir“. Dass hieraus 7 Jahre später ein mehr als 15 Jahre langer Rechtsstreit resultieren würde, ahnt damals wohl niemand. In dem Lied ist eine Sequenz von 2 Sekunden aus dem Song „Metall auf Metall“ der Elektro-Pioniere Kraftwerk als sog. Loop eingebunden. Dagegen klagte Kraftwerk im Jahr 2004 und die Dinge nahmen ihren Lauf.
2. Der Mühsame Gang durch die Instanzen
Nach 4 Jahren des Streits, schien sich das Blatt zunächst gegen Moses Pelham zu wenden.
BGH – Metall auf Metall I
Der der BGH entschied am 20.11.2008 (Az. I ZR 112/06 – Metall auf Metall I), dass auch bereits die Entnahme kleinster Tonfetzen von einem Tonträger in die ausschließlichen Rechte eines Tonträgerherstellers eingreife. Zwar könne Sampling eine sogenannte freie Benutzung darstellen, wonach urheberrechtlich geschützte Werke zur Schaffung neuer Werke ohne Zustimmung des Urhebers benutzt werden dürfen. Eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung komme allerdings nicht in Betracht,
wenn es möglich ist, die auf dem Tonträger aufgezeichnete Tonfolge selbst einzuspielen oder es sich bei der erkennbar dem benutzten Tonträger entnommenen und dem neuen Werk zu Grunde gelegten Tonfolge um eine Melodie handelt.
BGH – Metall auf Metall II
Im weiteren Verfahrensverlauf musste sich der BGH erneut mit der Sache befassen und konkretisierte seine bisherige Rechtsprechung mit Urteil vom 13.12.2012 (Az. I ZR 182/11 – Metall auf Metall II) dahingehend, dass die Verwendung fremder Tonaufnahmen beim Sampling keine freie Benutzung darstelle,
wenn es einem durchschnittlich ausgestatteten und befähigten Musikproduzenten zum Zeitpunkt der Benutzung der fremden Tonaufnahme möglich ist, eine eigene Tonaufnahme herzustellen, die dem Original bei einer Verwendung im selben musikalischen Zusammenhang aus Sicht des angesprochenen Verkehrs gleichwertig ist.
BVerfG – Verwendung von Samples zur künstlerischen Gestaltung
Schließlich mischte sich auch noch das Bundesverfassungsgericht in den Rechtsstreit mit seinem Urteil vom 31.05.2016 (Az. 1 BvR 1585/13) ein und bemängelte die unzureichende Berücksichtigung der Kunstfreiheit. Diese verlange
die Übernahme von Ausschnitten urheberrechtlich geschützter Gegenstände als Mittel künstlerischen Ausdrucks und künstlerischer Gestaltung anzuerkennen. Steht dieser Entfaltungsfreiheit ein Eingriff in Urheber- oder Leistungsschutzrechte gegenüber, der die Verwertungsmöglichkeiten nur geringfügig beschränkt, so können die Verwertungsinteressen der Rechteinhaber zugunsten der Kunstfreiheit zurückzutreten haben.Der Schutz des Eigentums kann nicht dazu führen, die Verwendung von gleichwertig nachspielbaren Samples eines Tonträgers generell von der Erlaubnis des Tonträgerherstellers abhängig zu machen, da dies dem künstlerischen Schaffensprozess nicht hinreichend Rechnung trägt.
Daraufhin legte der BGH die Streitfragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
3. Und was sagt nun der EuGH
Auf den ersten Blick hat der EuGH die Position der sampelnden Künstler gestärkt. Zwar stelle die Verwendung auch kürzester Tonfolgen bereits eine urheberrechtliche Vervielfältigung dar, die grundsätzlich die Zustimmung des Rechteinhabers erfordere. Wenn aber das Sampling dazu führe, dass insgesamt ein neues vom gesampelten Song unabhängiges Werk entstehe, könne das neue Werk nicht als urheberrechtliche Vervielfältigung (Kopie) bewertet werden. Entscheidend ist, ob die Tonfolge in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbare Form in dem neuen Werk genutzt wird. Kurzum: Beim Sampling ist nicht zwingend die Zustimmung des Rechteinhabers am gesampelten Song erforderlich.
Für die rechtliche Bewertung des Samplings wird es künftig maßgeblich auf den „Wiedererkennungswert“ des gesampelten Songs ankommen. Daher dürfte sich die Entscheidung als Pyrrhussieg für die Remix-Kultur erweisen. Denn die Wiedererkennbarkeit ist eine wesentliches Element bei Remixes. Dann kann nur noch die Hintertür des Zitatrechts helfen, die der EuGH ein Stück geöffnet hat. Bleibt das ursprängliche Werk nach dem Sampling erkennbar, kann die Nutzung ohne Zustimmung des Rechteinhabers als Zitat zulässig sein, wenn die Nutzung zum Zwecke der Interaktion mit dem übernommenen Werk erfolgt.
Nun ist es Sache des BGH, die teils sehr allgemein formulierten Leitlinien des EuGH zu konkretiesieren und zu überprüfen, ob danach die Verwendung der Tonelemente aus dem Kraftwerksong „Metall auf Metall“ im „Nur Mir“ zulässiges Sampling darstellt. Es bleibt also spannend – auch 15 Jahre nachdem der Rechtsstreit begonnen hat.